"Heimat ist etwas, was ich mache"

      Bei der Frauentagung Ende Oktober in Frankfurt ging es um einen vielschichtigen und nicht unumstrittenen Begriff.

      Braucht die moderne Frau noch eine Heimat oder ist sie nicht überall auf der Welt zuhause? Wie viel Heimat braucht der Mensch, was bedeutet Heimat, wie schmeckt sie und wie fühlt sie sich an? Wie gelingt es Heimat zu schaffen, ohne die anderen auszugrenzen? Bei der Frauentagung „Heimat ist etwas, was ich mache“, Ende Oktober in Frankfurt, ging es um einen vielschichtigen und nicht unumstrittenen Begriff.


      „In meinem Leben bin ich mindestens zwanzig Mal umgezogen“. Mit diesen Worten stellte sich eine Teilnehmerin bei der Tagung „Heimat ist etwas, was ich mache“ vor. Sie machte anschaulich, dass Heimat weit mehr ist als nur ein Ort oder eine Region. Bei jedem Umzug hatte sie ein Stück Heimat im Gepäck: eine schwer zu beschreibende Mischung aus Beziehungen und Erinnerungen an Menschen, Orte, Landschaften, Sprache, Geschmäcker, Gerüche und vieles mehr. „Heimat ist ein Thema, das emotional berührt“, darin waren sich die anwesenden Frauen einig. Ein vielschichtiger Begriff mit spiritueller Dimension. Der Arbeitskreis Frauen der Evangelischen Akademie Arnoldshain hatte Ende Oktober für zwei Tage nach Frankfurt eingeladen, um diesem „diffusen Gefühl auf die Spur zu kommen“, wie die Veranstalterinnen erläuterten.

       

      Heimat ein zwiespältiger Begriff

      Bis vor einiger Zeit verband sich mit dem Begriff Heimat für viele Menschen vor allem die Enge und Spießigkeit von Volksmusik und Schrebergarten. Insbesondere der Missbrauch des Heimatbegriffs durch konservativ-reaktionäre Ideologen ließ ihn gerade in Deutschland zu einem umstrittenen Konzept werden. Derzeit scheint der Heimatbegriff geradezu eine Renaissance zu erleben – auch bei jüngeren Menschen. In einer zunehmend komplizierter werdenden Welt wächst ganz offensichtlich das Bedürfnis nach Orientierung, Sicherheit und Geborgenheit – eben nach Beheimatung. An diese „Sehnsucht nach Heimat“, als aktuelles Zeit-Phänomen, knüpfte die Tagung an.

       

      Bedürfnis nach Beheimatung

      Dr. Gotlind Ulshöfer, Studienleiterin der Evangelischen Akademie Arnoldshain und Dr. Christiane Wessels vom Zentrum Bildung der EKHN moderierten einen spannenden Suchprozess. Er begann mit einer anerkannten Expertin auf dem Gebiet der modernen Heimatforschung. Dr. Beate Mitzscherlich, Professorin an der Westsächsischen Hoch-schule Zwickau, hat sich eingehend mit der psychologischen Notwendigkeit von Heimat-Findung beschäftigt. Beheimatung sei ein aktiver Prozess, der grundlegenden Bedürfnissen von Menschen in einer globalisierten und krisenhaften Moderne nachkomme, sagte sie: Dem Bedürfnis sozial eingebunden und anerkannt zu sein, dem Bedürfnis die eigenen Lebensbedingungen gestalten zu können und dem Bedürfnis einen inneren Zusammenhang zwischen sich und dem gewählten Ort herstellen zu können.

       

      Heimat im historischen Kontext

      Wie aber können diese Bedürfnisse befriedigt werden, ohne dass es zu regressiven Lösungen auf Kosten anderer kommt? Allzu oft war in der Vergangenheit Heimat mit nationalistischer Abgrenzung und mit Ausgrenzung von Fremden verbunden. Für die Pädagogin Dr. Astrid Messerschmidt, Professorin an der Universität Karlsruhe, liegt darin der Grund, bewusst in Distanz zum Begriff „Heimat“ zu gehen. Sie machte bei der Tagung deutlich, dass der Heimatbegriff immer in einen historischen Kontext zu stellen ist. Aus Messerschmidts Sicht war er in der Geschichte immer mit nationalistischem Gedankengut verknüpft und erzeugte einen sehr problematischen Umgang mit allem, was als fremd empfunden wurde. Die nationale Uneindeutigkeit des Fremden, bzw. der Fremden erzeuge Abwehr, so ihre These. Die Begegnung mit Fremden rege an, fordere heraus und relativiere das Eigene. Messerschmidt plädierte dafür, sich von „dominanten Zugehörigkeitsordnungen“ – wie sie beispielsweise der Heimatbegriff suggeriere - zu verabschieden. Für eine Migrationsgesellschaft wie Deutschland, empfahl sie stattdessen das Bild der „Mehrfachzugehörigkeiten“ zu benutzen.

       

      Der Geschmack des Heimwehs

      Mit dem Begriff „Heimweh“ beleuchtete die Ethnologin und Soziologin Dr. Elke Maurer eine weitere Facette der Heimatdiskussion. Heimweh – das widerspreche zunächst einmal vollkommen dem Bild vom modernen mobilen Menschen. Wie stark dieses Gefühl tabuisiert ist, erfuhr Elke Maurer in ihrer ethnologischen Forschungsarbeit. Sie entdeckte eine ganze Reihe von „Heimwehverringerungsmaßnahmen“. Ihr Fazit: „Menschen sind erfinderisch, listig und klug, wenn es darum geht, das Heimweh zu verringern“. Dem Essen komme dabei eine ganz besondere Bedeutung zu. Es verkörpere gewissermaßen „den Geschmack des Heimwehs“.

       

      Buchtipps:

       

      Elke Regina Maurer:

      Der Geschmack des Heimwehs. Biografische Gespräche über Heimweh und Esskultur. Centaurus Verlag 2011

       
      Astrid Messerschmidt: Weltbilder und Selbstbilder. Bildungsprozesse im Umgang mit Globalisierung, Migration und Zeitgeschichte. Brandes & Apsel 2009.


      Beate Mitzscherlich: „Heimat ist etwas, was ich mache“.Eine psychologische Untersuchung zum individuellen Prozess von Beheimatung. Centaurus Verlag 2000


      Soham Al-Suadi: Essen als Christusgläubige– Die Heterotopie Paulinischer Mahlgemeinschaften, Franke Verlag, erscheint Nov. 2011.

       

       

      Download

       

      Dr. Elke Regina Maurer


      „Der Geschmack des Heimwehs“

       

      Prof. Dr. Astrid Messerschmidt


      "Weder heimatlich noch fremd – Positionierungen der Geschlechter in der Migrationsgesellschaft"

       

      Dr. Soham Al-Suadi

       

      Heimat am Herd? „Frauen und Mahlgemeinschaften in der Antike“

       

      Prof. Dr. Beate Mitzscherlich

       

      "Heimat ist etwas, was ich mache"

       

       

      Das Kochbuch, Jüdische, christliche und muslimische Festtagsgerichte

       

      Evangelisches Dekanat Dreieich: Gemeinsamkeiten erkennen – Unterschiede benennen – Vorurteile überwinden / „Den Religionen Abrahams auf der Spur“

       

       

      Die Veranstalterinnen:


      Die Tagung wurde veranstaltet von der Evangelischen Akademie Arnoldshain, dem Zentrum Bildung der EKHN und den Evangelischen Frauen in Hessen und Nassau, zusammengeschlossen im Arbeitskreis Frauen der Evangelischen Akademie Arnoldshain.

      Weitere Informationen beim Zentrum Bildung der EKHN, Fachbereich Erwachsenenbildung und Familienbildung, Dr. Christiane Wessels: christiane.wessels.zb@ekhn-net.de, Tel.: 06151/66 90 187