Bildungspost 2019-4: Digitale Transformation in der Erwachsenen- und Familienbildung

Auf dem Weg zu neuen und innovativen Veranstaltungsformaten

von Tobias Albers-Heinemann

„Digitalisierung“ – kein anderer Begriff prägt derzeit so viele Debatten und sorgt für derart kontroverse Diskussionen. Gesellschaftliche Veränderungen gab es zwar schon immer, aber noch nie so umfangreich, grundlegend und schnell wie im Bereich der Digitalisierung in den letzten 20 Jahren. Zwischen all der Technik-Euphorie und dem zwanghaften Festhalten am glorifizierten „Früher“ ist es zwingend notwendig, auf diese Veränderungen, zu reagieren und neue Formate und Konzepte für die Erwachsenen- und Familienbildung zu entwickeln.

Ich denke, dass es weltweit einen Markt von vielleicht fünf Computern gibt“ (Thomas Watson, Chairman von IBM, 1943) – ein Zitat, über das wir heute nur noch schmunzeln können, wissen wir denn, dass – 80 Jahre später – jeder Mensch mit einem Smartphone über mehr Technik verfügt, als die NASA 1969 bei der ersten Mondlandung.

Fehleinschätzungen der technologischen und auch gesellschaftlichen Entwicklung gegenüber gab es in der Vergangenheit einige. So war zum Beispiel Darryl Zanuck, der CEO von 20th Century Fox, einer der größten Filmproduktionsgesellschaften, 1946 der Ansicht, dass sich der Fernseher niemals durchsetzen wird. Oder Bill Gates, der Gründer von Microsoft vertrat 1993 die Auffassung, dass es keine Zukunft für das Internet geben wird, da es sich lediglich um einen Hype handeln würde.

So amüsant diese Äußerungen in der heutigen Zeit auch sind, haben wir doch unter Berücksichtigung des damaligen Zeitgeistes und der damaligen Technologie ein gewisses Verständnis für diese Irrtümer, wissen wir doch, dass Veränderungen und neue Möglichkeiten oftmals schnell und manchmal auch lautlos daherkommen und es nicht immer einfach ist, zeitnah und adäquat darauf zu reagieren.

Veränderungen gehören einfach zum Alltag, was wir vor allem in Bezug auf das große Schlagwort „Digitalisierung“ bemerken. Schauen wir uns allein die Entwicklung vom Festnetztelefon zum Smartphone an, ist zu bemerken, dass sich mit der technischen Innovation auch die Kommunikationskultur grundlegend verändert hat. Noch vor 25 Jahren wurde im Prinzip nicht die Person, sondern der Hausanschluss angerufen. Da der Anrufende nicht wusste, wer auf der anderen Seite ans Telefon gehen würde, war es üblich, sich mit Namen zu melden. In der heutigen Zeit werden weder Haus noch Wohnung angerufen, sondern die Person direkt auf ihrem Smartphone. Wir wissen, wer abnehmen wird, allerdings nicht, wo sich diese Person aufhält, auch sieht der Angerufene die Nummer und den Namen des Anrufers im Display. So ist heute eher zu beobachten, dass ein Telefonat mit der direkten Begrüßung des Anrufers beginnt, sofern das eigentliche „Telefonat“ an und für sich überhaupt noch eine Rolle spielt. Denn mit den mobilen Endgeräten hat sich auch die mobile Kommunikation etabliert, d.h. der Austausch über Text- und Sprachnachrichten, unabhängig vom Aufenthaltsort und von festen Zeiten.

Die technische Entwicklung hat also in diesem Beispiel dazu geführt, dass sich ein normales und etabliertes Kommunikationsmodell vollkommen verändert und sich den Bedürfnissen der Gesellschaft nach einer mobilen, zeit- und ortsunabhängigen Kommunikation angepasst hat. Das wirft die Frage auf, welche Auswirkungen Digitalisierung und Digitale Transformation für den Bildungsbereich und speziell die Erwachsenen- und Familienbildung haben und wie wir davon profitieren können?

Digitalisierung oder Digitale Transformation

Damit es möglich wird, konstruktiv über die Auswirkungen und Veränderungen in der Erwachsenen- und Familienbildung sowie über neue innovative Bildungsformate zu sprechen, sollte ein Diskurs über die Begriffe „Digitalisierung“ und „digitale Transformation“ stattgefunden haben.

Der Begriff Digitalisierung bezeichnet ursprünglich das Umwandeln von analogen Werten in digitale Formate“ (Wikipedia). Das bedeutet konkret, dass wir etwas Analoges und Haptisches in etwas Digitales und nicht mehr physisch Greifbares umwandeln. Die Information liegt dann technisch gesehen in einem digitalen Signal vor, dass uns über einen Computer visualisiert wird. Wichtig hierbei ist die Erkenntnis, dass es durch die reine Digitalisierung lediglich eine Veränderung des analog-digitalen Aggregatzustandes gibt. Eine handgeschriebene Teilnehmer*innenliste, die eingescannt und in ein PDF Dokument konvertiert wurde, ist digitalisiert, aber immer noch eine Teilnehmer*innenliste.

Gerade weil der Begriff der Digitalisierung so prominent und ohne Differenzierung zur Digitalen Transformation diskutiert wurde, ist vielerorts die Annahme entstanden, dass eine reine Änderung des analog-digitalen Zustandes den gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungsprozessen gerecht werden würde. Aber wie brachte es Thorsten Dirks, ehemaliger Vorstandsvorsitzende der Telefonica Deutschland Holding bereits 2015 auf den Punkt: „Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, haben Sie einen scheiß digitalen Prozess.

Unter Digitale Transformation ist im Gegensatz dazu ein „fortlaufender und in digitalen Technologien begründeter Veränderungsprozess“ (Wikipedia) zu verstehen, der über die reine Digitalisierung von Prozessen, Inhalten und Methoden hinausgeht. Durch die Transformation entsteht keine Erweiterung bisheriger analoger Prozesse, sondern völlig neue Formate mit völlig neuen Möglichkeiten.

Neue Formate, Ziele und Ansichten

Der Bereich des E-Learnings hat sich in den letzten Jahren sehr stark entwickelt. Eine nicht unwesentliche Rolle in diesem Kontext spielen Lernplattformen wie Ilias oder Moodle. Die Teilnehmenden werden hier in Kurse und Gruppen aufgeteilt und bekommen vorgegeben, mit welchen Inhalten sie sich wann und wie zu beschäftigen haben. Am Ende eines Kurses erfolgt dann in der Regel durch ein Quiz oder dergleichen eine Abfrage des Lernstoffes. Das Ganze erinnert doch sehr stark an das deutsche Schulsystem und es wird deutlich: hier hat eine spiegelbildliche Digitalisierung eines Unterrichtsraumes stattgefunden.

Die Lehrerin Lisa Rosa schreibt hierzu passend[1]„Seit ich vor 45 Jahren mit meinem Lehrerstudium begann, hat sich eines an der Ausbildung nicht verändert: Das Verständnis, was Unterrichten bedeutet, wie man Unterricht plant … Unterrichtsplanung erfolgt vom Gegenstand zu den Zielen hin, legt verwendetes Material fest, wählt Methoden, Sozialform und Medien“. Sie spricht sich im Rahmen einer zeitgemäßen Bildung für ein Umdenken in der Lernprozessgestaltung aus und fragt: „Wer sagt, dass Lernen nur mit Unterrichtetwerden funktioniert?

Dieser Ansatz spiegelt sehr gut den Unterschied von Digitalisierung und einer Digitalen Transformation wider. Es ist nicht genüge getan, ein in die Jahre gekommenes Bildungssystem in den digitalen Raum der Lernplattform zu transportieren, wir benötigen für den zeitgemäßen Ansatz eine neue Definition des Bildungsbegriffes, neue Lernziele und neue Lernformen. Selbstverständlich bleibt die Wissensvermittlung weiterhin wichtig, dennoch sind in den letzten Jahren weitere Lernziele wie

  • Skills (4K: Kritisches Denken, Kreativität, Kommunikation, Kollaboration),
  • Charakter (Fragen der Persönlichkeit, Achtsamkeit, Neugier…) 
  • Meta-Lernen (das Lernen über das Lernen) hinzugekommen.[2]

Dazu kommt der Ansatz des Pädagogen Jöran Muuß-Merholz[3], dass die bestehenden drei Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen nicht um eine vierte „digitale Kompetenz“ erweitert werden müssen, vielmehr sollten die traditionellen Kulturtechniken erweitert werden in

  • Lesen (Umgang mit Informationen, Recherche, Bewertung, Analyse, Wissensmanagement),
  • Schreiben (generell als „sich in der Welt äußern“, also auch Medienproduktion, Video, Podcast, Audio)
  • Rechnen (Verstehen und Gestalten von logischen Verknüpfungen, Informatik, Algorithmen)

Wir müssen daher im Rahmen der digitalen Transformation neben den etablierten Fortbildungsangeboten neue und ergänzende Formate für die Erwachsenenbildung entwickeln, die es den Teilnehmer*innen ermöglichen, sich dann mit Lerninhalten zu beschäftigen, wann sie es wollen, an dem Ort, an dem sie sich befinden, mit dem Endgerät ihrer Wahl. Gerade im ländlichen Raum spielen für viele ältere Menschen die Themen „Mobilität“ und „gesellschaftliche Teilhabe“ eine ganz große Rolle. Hier bieten digitale Medien die Möglichkeit, Barrieren abzubauen und Teilhabe zu gewährleisten.

Videotalks und Webinare in der digitalen Bildungsarbeit

Webinare gibt es schon mehrere Jahre und stellen im Prinzip keine Innovation mehr im Bereich E-Learning dar. Als Mischung aus Web = Internet und Seminar haben Teilnehmer*innen die Möglichkeit, ortsunabhängig an Online-Kursen teilzunehmen und sich ggf. zu einem späteren Zeitpunkt die Aufzeichnung anzusehen, um das Gelernte zu wiederholen. Die technische Seite eines Webinars ist allerdings nur ein Teil eines gelungenen digitalen Bildungsangebotes, die andere Seite ist der didaktische Aufbau. Hier ist entscheidend, ob es eine klare Hierarchie zwischen dem Lernenden und dem Lehrenden gibt oder ob ein Lernerfolg durch den gemeinsamen Diskurs und das gemeinsame Entdecken und Erleben vermittelt werden soll. Es macht zudem einen Unterschied, ob die Teilnehmer*innen passive Zuschauer*innen sind und einfach nur zusehen oder aktiv am Lernprozess teilhaben und ihn sogar mitgestalten können.

Einen Vortrag aufzunehmen und ihn als Videodatei anzubieten ist eine typische Form, wie Bildungsinhalte digitalisiert werden. Innovativer wäre im Rahmen der Digitalen Transformation, durch Einsatz aktueller Medien und Methoden das Webinar als eine Talk-Runde zu gestalten, die Teilnehmer*innen als einen Teil der Veranstaltung anzusehen und aktiv in das Lernszenario zu integrieren.

Hybrid-Veranstaltungen in der digitalen Bildungsarbeit

Digitale Bildung muss aber nicht nur allein im Internet stattfinden, oftmals besteht die Innovation bereits darin, eine Vor-Ort Veranstaltung dahingehend zu öffnen, dass die Online-Teilnehmer*Innen nicht nur eine Videoübertragung sehen (Live-Stream), sondern Teil der Vor-Ort Gruppe werden, inklusive des sozialen Zusammengehörigkeitsgefühls.

Hybrid-Veranstaltungen[4] bieten auf mehreren Ebenen Erfahrungsfelder für die Teilnehmenden. Menschen, die nicht in der Lage sind, eine Veranstaltung vor Ort zu besuchen, haben die Möglichkeit, mit einem Smartphone, Tablet oder Computer mitzuwirken. Externe Referent*innen können über eine Software eingebunden werden und mit Teilnehmer*innen Vor-Ort und im Videokonferenzraum diskutieren. Komplette Gruppen an unterschiedlichen Orten können miteinander interagieren, das ist nicht nur innovativ, sondern spart auch eine Menge an Reisekosten.

Die Lust am Scheitern zählt…

Für den Bildungsbereich, insbesondere für die Erwachsenen- und Familienbildung steht eins fest: Die Zeiten ändern sich, und mit ihr die Menschen, die Gesellschaft und die Kultur. Mit zunehmendem Alter und schwindender Mobilität wird es für immer weniger Personen möglich sein, längere Strecken für die Teilnahme an Angeboten vor Ort auf sich zu nehmen. Dazu kommen durch die Digitalisierung völlig neue Erfahrungsfelder. 360Grad Bildungsangebote wie beispielsweise lutherdenkmal.de bieten bereits jetzt völlig neue barrierefreie Bildungszugänge und Erlebnisräume. Immersive Formate, wie zum Beispiel Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) spielen seit einigen Jahren in der schulischen Unterrichtsgestaltung eine Rolle (https://www.stiftunglesen.de/download.php?type=documentpdf&id=2090) und werden mit der moderner und günstiger werdenden Technik bald für alle Smartphone-Besitzer zur Verfügung stehen.

Bildungsakteure werden im Rahmen einer zeitgemäßen Bildung vor neue, aber dennoch unweigerliche Herausforderungen gestellt. Es sind neue Formate und Ideen gefragt und es ist Aufgabe all derer, die im Bildungsbereich arbeiten, auszuprobieren, zu testen und zu reflektieren, welche Möglichkeiten und Methoden mit welcher Zielgruppe umgesetzt werden kann. Scheitern ist möglich, aber nicht tragisch, denn schließlich wollen wir mit bewährten, neuen und innovativen Angeboten den Grundstein für eine zeitgemäße digitale Bildung setzen.

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[1] Krommer, Lindner, Mihajlovic, Muuß-Merholz, Wampfler: #Digitale Bildung, S. 105

[2] Fadel: Die vier Dimensionen der Bildung: Was Schülerinnen und Schüler im 21. Jahrhundert lernen müssen

[3]www.joeran.de/drei-oder-vier-kulturtechniken-digitale-kompetenz/

[4]https://kurzelinks.de/hybrid-veranstaltung