Bildungspost 2019-2: Lebensträume - Lebensziele. Klarheit gewinnen für ein erfülltes Leben

Ein Seminarrückblick von Elke Heldmann-Kiesel

Wenn wir in der Erwachsenenbildung das eigene Leben zum Thema machen und unseren Träumen und Ideen vom Gelingen und Werden Aufmerksamkeit schenken, dann befinden wir uns im Bereich der Persönlichkeitsbildung. Hierbei geht es um etwas, das uns persönlich angeht, das für unsere persönliche Weiterentwicklung von Bedeutung ist. Es geht um den Raum des selbstentdeckenden Lernens, den Raum, in dem wir uns mit dem befassen, was uns persönlich wichtig und wertvoll erscheint, was uns inspiriert und stärkt. Der folgende Beitrag gibt einen Einblick in ein solches Seminarangebot. Als Veranstalterin habe ich den Prozess organisatorisch begleitet und war zugleich selbst Teil des Lernens, war teilnehmend und teilgebend persönlich involviert.

„Binde deinen Karren an einen Stern“ (Leonardo da Vinci)
In einer Welt, die sich ständig wandelt, tut es gut, sich immer mal wieder zu vergewissern, was das Leben gelingen lässt, was wichtig ist im Leben und den inneren Kompass danach auszurichten. Was auch immer der biografische Anlass ist, ob eine berufliche Veränderung ansteht oder eine unerfüllte Sehnsucht lockt, von Zeit zu Zeit ist es einfach dran, dass wir auf den eigenen Lebensweg zurück und nach vorne schauen und uns vergegenwärtigen, wo wir stehen. Bin ich noch gut in Kontakt mit den Quellen meiner Freude? Widme ich meinen Wünschen und Träumen die nötige Aufmerksamkeit? Woraus schöpfe ich Kraft, Energie und Inspiration? Wo kann sich meine Lebendigkeit im Alltag zeigen? Was lässt meine Augen leuchten?

Vierzehn Teilnehmende, zwölf Frauen und zwei Männer, waren im April zu dem dreitägigen Seminar „Lebensträume – Lebensziele“ nach Hofheim im Taunus gereist, um der Perspektive auf sich selbst und den Fragen an das eigene Leben Raum und Zeit zu geben. Das Franziskanische Zentrum für Stille und Begegnung, war ein geeigneter Ort, um den Alltag zu unterbrechen und sich Klarheit zu verschaffen.

Sabine Sautter, Erwachsenenbildnerin und Lehrtrainerin für Biografiearbeit aus Bayern, leitete den Prozess mit feinem Gespür und methodischem Geschick, so dass sich ein konzentriertes und vertrauensvolles Miteinanderlernen entfalten konnte. Es sollte nicht um Karriereplanung gehen, machte sie gleich zu Beginn deutlich, auch nicht um Selbstoptimierung, sondern um „das Selbst mit spiritueller Anbindung“. „Ein Selbst, das noch werden darf, etwas wo wir noch hinwollen“. Forschungslust und Entdeckerfreude wollte sie für die Arbeit am Selbst wecken und lud dazu ein, „in die Zukunft zu spinnen“, eine Vision zu entwickeln für das eigene Leben und dabei „das Ziehen zwischen den Schulterblättern zu spüren, dort wo die Flügel wachsen“.

Schlüsselthemen aufspüren, sortieren und gewichten
Kein einfaches Vorhaben: Das Wesentliche in den Fokus zu rücken, der Idee auf die Spur zu kommen, die dem eigenen Leben eine Richtung gibt und wie ein inneres Bild leitet. Sabine Sautter hatte sich für dieses anspruchsvolle Unterfangen ein anregungsreiches Programm ausgedacht, das jede einzelne Person Schritt für Schritt mit auf den Weg nehmen und handlungsfähig machen sollte.

In drei Tagen strukturierten wir unser Leben in Mind-Maps, sortierten unsere Lebensthemen, verdichteten sie in poetischen Zeilen, hielten wichtige Gedanken auf bunten Blättern fest. Wir spürten unsere Werte und Ressourcen in den eigenen Lebensgeschichten auf; nahmen Erfahrungen oder Menschen in den Blick, die uns gestärkt haben. Als Selbstforscher*innen machten wir uns auf die Suche nach Anknüpfungspunkten und Kontinuitäten im Leben – etwas, das sich wie ein roter Faden durch unser Leben zieht. Stets galt es genauer hinzuschauen, achtsam wahrzunehmen und eine wertschätzende Haltung zu kultivieren – dem eigenen Leben gegenüber und dem Leben der Anderen.

Ein kreativer Methodenmix sorgte für wechselnde Perspektiven und brachte Dynamik und Spannung in den Ablauf. Auf aktive und bewegte Phasen des Austauschs und der Interaktion folgten stille und konzentrierte Aufgaben, Mal- und Schreibimpulse. Wir drehten Loopings zwischen früher und heute, wurden gedanklich zurück in die Kindheit geschickt und tauchten in der Zukunft als alte Frau bzw. alter Mann wieder auf. Wir unternahmen Zeit- und Fantasiereisen, ließen unsere inneren Bilder aufscheinen, entwarfen Zukunftsszenarien und legten dafür „die Schere im Kopf“ beiseite, schickten den Zensor vor die Tür. „Traut euch groß und verrückt zu denken“, ermunterte uns die Seminarleiterin.

Blick zurück in die Kindheit
Wenn wir uns an Tätigkeiten erinnern, bei denen wir als Kind die Zeit vergessen haben oder an besondere Momente, in denen wir völlig bei uns waren, kommen wir dem inneren Kind auf die Spur, lockte Sabine Sautter in das Thema „Lieblingsbeschäftigungen als Kind“. Doch so einfach ist das nicht mit dem Erinnern, nicht jedem ist auf Anhieb etwas eingefallen. „Ich weiß nur noch, dass meine Mutter erzählt hat, Du warst immer fort“, sagte eine Teilnehmerin in der Kleingruppe. Könnte das ein Hinweis auf ihre Abenteuerlust oder auf den Wunsch nach Unabhängigkeit sein, fragten wir nach. Eine andere Teilnehmerin erinnerte sich daran, dass sie ihre Sandkuchen immer mit Gänseblümchen verziert hat, stundenlang konnte sie in ihrem Tun versinken. Auch heute noch sind das Dekorieren, Verschönern und Gestalten ihre große Leidenschaft. „Als Kind sind wir am meisten wir selber“, ist eine Teilnehmerin überzeugt, die beruflich mit Kindern arbeitet. „Kleine Kinder sind noch unverstellt, da kann der innere Kern ungehindert leuchten.“ Es liegt also eine große Lernchance darin, wenn wir verstehen, was hinter der frühen Begeisterung steht. Denn so lässt sich leichter an die Energie des Kindes und die Freude des Herzens anknüpfen.

Vergegenwärtigen was ist
Mit dem Modell der „vier Dimensionen des Lebens“ von Martin Sell (Philosoph und Hochschullehrer an der Goethe-Universität in Frankfurt) sollte der Balance-Zustand in unserem Alltag ergründet werden. Wie geht es mir in der Arbeit (bezahlt und unbezahlt), wo bin ich wertvoll, hilfreich, unterstützend für andere, bringe meine Kompetenzen ein; wie steht es mit dem Bereich der Kontemplation, der persönlichen Entwicklung, der Entspannung; wie zufrieden bin ich mit meinem sozialen Leben, meinen Beziehungen und Freundschaften; und was ist mit dem zweckfreien Raum, dem Feld des spielerischen und kreativen Entdeckens? Welcher dieser vier Bereiche dominiert, welcher sollte größer und weiter werden? Brauche ich mehr Spielraum oder mehr Wirkungsraum, mehr Ruhe und Muße oder mehr Aktion? Will ich mehr Rückzugsmöglichkeiten oder mehr Begegnungen? Wo kann ich mich mit meinen Gaben und Fähigkeiten einbringen, mich ausdrücken, etwas bewirken? In welchen Bereichen erlebe ich Stress und Überlastung, wo gibt es Ziel- oder Ressourcenkonflikte? Wo erfahre ich Sinn, wo erlebe ich Erfolge? Wo entstehen Ungleichgewichte, die es mal wieder in Balance zu bringen gilt?

Wege in die Zukunft
Wie könnte Zukunft sein? Welche Möglichkeitsräume bietet sie mir? Wo sehe ich mich in sieben Jahren? Sieben bis zehn Szenarien sollten wir entwerfen und auflisten, in kurzer Zeit und möglichst schnell, „um das Hirnen zu unterlassen“, wie es die Kursleiterin formulierte. Daraus galt es im Anschluss, die drei stärksten Szenarien auszuwählen und genauer auszuarbeiten. Wo bin ich? Was tue ich? Wer ist dabei? Welche Themen beschäftigen mich? Wie ist meine materielle Situation? Wie fühle ich mich? Da wo hinterher beim Erzählen die Augen am stärksten leuchten liege das größte Potenzial, so Sabine Sautter.

Mit der Zeitlinienarbeit wurde am Ende des Seminars eine Methode gewählt, bei der auch der Körper beim Denken mithelfen durfte. Entlang eines roten Seils, das jede/r einzeln auf dem Boden im großen Raum auslegte und abschreiten sollte, ging es nach einer festgelegten Schrittfolge, beginnend bei der Gegenwart, abwechselnd vorwärts in die Zukunft und rückwärts in die Vergangenheit. Am Schluss kamen wir wieder im „Jetzt“ an, mit Blick auf die Wegstrecke, die vor uns liegt. Zurück im Kreis wurden wir aufgefordert, uns den ersten Schritt zu überlegen, den wir uns konkret vornehmen auf dem Weg ins Zielszenario. Wer wollte trat einen Schritt in die Mitte und tat der Gruppe das eigene Vorhaben kund. Für jeden noch so kleinen Schritt gab es motivierenden Applaus, Ermutigung für den eigenen Weg.

Elke Heldmann-Kiesel, Referentin für Erwachsenenbildung

 

Veranstaltungshinweis 2020

Das nächste Seminar mit Sabine Sautter:

6. – 8. Mai 2020, Wiesbaden-Naurod

Übergänge im Leben gestalten